So stellt ihr euer Tech-Stack zukunftssicher auf oder: Vergesst ChatGPT, macht lieber eure Basis-Hausaufgaben!
Über welche Kanäle verkaufen wir morgen? Und wird die Online-Nachfrage weiter sinken oder doch wieder stark steigen? Wer heute vor der Anschaffung neuer Software für seine Plattform steht, muss viele Faktoren bedenken. Unser CTO Manuel Ludvigsen-Diekmann beantwortet einige zentrale Fragen.
Was macht aus eurer Sicht eine E-Commerce-Lösung zukunftsfähig?
Manuel: Aus unserer Sicht ist es heute unerlässlich, dass alle Systeme einfach über APIs angebunden werden können. Händler sollten die Möglichkeit haben, technisch veraltete Systeme einfach auszutauschen. Wir wissen heute noch nicht, wie wir morgen verkaufen. Ist es dann noch die App, der Browser, der POS? Oder eine VR-Anwendung? Hier sollte man möglichst flexibel aufgestellt sein.
Wichtig ist auch ein gutes Workflow-Management. Denn es sind die Prozesse, die Unternehmen am Ende erfolgreich machen. Wer zwei Jahre braucht, um die ersten Tests überhaupt starten zu können, ist irgendwann völlig irrelevant. In der Corona-Pandemie etwa haben diejenigen profitiert, die ihre Workflows im Griff hatten und ihre eigene Logistik aktivieren konnten.
Auch das Pricing ist ein entscheidender Faktor: Wer glaubt, mit einer On-Premise-Lizenz auf der sicheren Seite zu sein, der irrt. Natürlich hat man dann den Code. Aber was passiert, wenn sich der Hersteller nicht mehr um Updates und Sicherheit kümmert? Theoretisch könnte sich der Händler dann selbst darum kümmern. In der Praxis wird das aber nicht funktionieren.
Bei Software-as-a-Service-Angeboten sollten sich Händler nicht mit Zweijahresverträgen abspeisen lassen. Denn oft machen Hersteller klassische Angebote und zwei Jahre später, wenn das eigene Online-Geschäft boomt, kostet die Lösung plötzlich das Doppelte. Der Umstieg auf eine alternative Shopsoftware-Lösung dauert. Und in der Zwischenzeit zahlt man. Natürlich wird es bei einem Fünfjahresvertrag immer eine Preissteigerung geben. Aber das ist dann planbar.
Und schließlich sollte man auch kritisch hinterfragen: Sind die Versprechungen der Hersteller nur Marketing oder kann die Lösung das wirklich jetzt schon? Es macht einen Unterschied, ob eine Lösung schon in mehreren Fällen bewiesen hat, dass sie etwas kann, oder ob man der Erste ist, der einen solchen Fall umsetzt. Wenn ich bei allem der Erste bin, zahle ich im Zweifelsfall viel Lehrgeld.
Manuel Ludvigsen-Diekmann,
CTO der SHOPMACHER
Wenn ihr gemeinsam mit dem Kunden eine neue Shopsoftware auswählt, nach welchen Kriterien entscheidet ihr, wer den Zuschlag bekommt?
Manuel: Wir versuchen vor allem herauszufinden, was der Kunde wirklich gut kann – und was noch nicht.
Hat er IT-Erfahrung?
Hat er ein eigenes Team vor Ort?
Braucht der Kunde ein visuelles CMS, beherrscht er HTML?
Oder braucht er ein klassisches Redaktionssystem mit 30 Feldern, die er ausfüllen kann – ohne Einfluss darauf, wie das dann optisch dargestellt wird?
Ist es okay, in mehreren Systemen zu arbeiten (PIM, Frontend-CMS, Commerce-Backend, Suche) oder ist eine einfache SaaS-Lösung besser, an die man maximal noch eine Suche andockt?
Und dann kommt es natürlich auch auf die Ziele an: Wer als großes Unternehmen nur mit einer Submarke live gehen und zehn Produkte online stellen will, braucht einen anderen Tech-Stack als jemand, der heute mit zehn Artikeln live geht, den Shop in sechs Monaten in fünf Sprachen ausrollen will und in 18 Monaten die B2B-Erweiterung oder die Integration von Online-Kursen plant.
Es kommt aber auch nicht selten vor, dass man auf Basis der strategischen Planung eine Technologieentscheidung trifft und dann nach zwei Jahren die strategische Planung über den Haufen wirft. Und das ist dann oft noch nicht mal mangelhafte Planung, sondern einfach dem Umstand geschuldet, dass sich die Technologien einfach mit wahnsinnigem Tempo entwickeln.
Was sind typische Fragen, die euch Kunden stellen?
Manuel: In der Regel fragen sie: “Wie lange dauert das und was kostet das?” Und ehrlicherweise müsste man in beiden Fällen erst mal sagen: “Das kann ich heute nicht seriös beantworten.” Aber so kommt man nie ins Machen. Deswegen starten wir mit groben Budgets, die wir dann sukzessive nachschärfen.
Denn vor allem am Anfang einer Zusammenarbeit ist es für uns oft schwer abzuschätzen, wie weit wir in die Arbeitsabläufe der Kunden eindringen können. Und wenn wir dann eine Bestandsaufnahme machen und fragen, was ein Unternehmen mit den Systemen vorhat, stellen wir oft relativ schnell fest: Am Anfang reden wir mit Leuten, die gerne etwas machen wollen. Aber wenn dann das Projekt startet und die Leute an Bord sind, die es umsetzen sollen, kommen ganz neue Anforderungen, weil zum Beispiel die Systeme nicht das können, was sie sollen. Da werden Projekte problematisch.
Wenn wir einen Blick in die nähere Zukunft wagen: Wie wird sich der Markt für Shopsoftware in absehbarer Zeit entwickeln?
Manuel: Ich denke, dass sich die Hersteller noch stärker auf SaaS-Angebote und -Komponenten konzentrieren werden. Allerdings wird es auch einige geben, die mit dem Schlagwort “Cloud“ oder “Platform-as-a-Service“ verschleiern wollen, dass sie gar keine echte SaaS-Lösung haben.
Ich bin auch davon überzeugt, dass die Kunden immer weniger Lust haben, die großen Migrations- und Wartungswellen weiter mitzumachen. Darauf werden sich die Hersteller einstellen. Einige Hersteller verändern gerade ihre Softwarearchitektur, sowie das Preis- und Servicemodell radikal mit Blick auf diesen Trend. Dadurch steht eben auch den “alten” Bestandskunden ein Umbruch bevor, weil die Sicherheitspatches auslaufen.
Das wird einige klassische Shop-Agenturen für die nächsten zwei bis drei Jahre über Wasser halten, weil sehr viele Systeme im Markt migriert werden müssen. Aber was kommt danach, wenn diese Migrationen abgeschlossen sind und die Wartungsaufwände viel geringer sind?
Und ich glaube, dass es einige einfache Themen gibt, die stärker von KI-getrieben sein werden. Wir haben zum Beispiel kürzlich mit einem Hersteller aus Skandinavien gesprochen, bei dem die Händler gar nichts konfigurieren können. Sie geben dem Anbieter nur ihren Datenfeed, den Rest macht ein Algorithmus. Wer ein eigenes E-Commerce-Team hat, wird vielleicht ein solches Angebot nicht nutzen. Wer das aber nicht kann oder will, fährt mit so einem Standardangebot besser, als wenn er gar nichts macht.
Insgesamt sehe ich, dass viele Händler in Deutschland noch grundlegende Hausaufgaben zu erledigen haben. Da kann die ganze Welt über ChatGPT reden – bei uns fängt fast jedes Projekt damit an, dass wir die Produktstammdaten überarbeiten müssen. Digitale Beratung ist schön und gut, aber jetzt ist es wichtig, alle Basisprozesse zu optimieren. Denn wenn die Nachfrage weiter sinkt, wird es für Händler mit schlechten Prozessen massiv schwieriger zu überleben.
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